Die tiefe Krise in der Biobranche und in den Bioanbauverbänden

Sehr viele KundInnen fragen uns mit Befremden und Fassungslosigkeit nach den Gründen für die neuerdings massenhafte Vermarktung von Demeter-Produkten in den Supermärkten. Dazu haben wir Stellung zu beziehen und uns so zu erklären, dass unsere KundInnen auch ganz klar weiterhin das tiefe Vertrauen zu unseren Produkten, unserer Arbeitsweise und vor allem zu unseren ethischen Werten haben können. 

Wir von der Gärtnerei Lichtenborner-Kräuter stehen weiterhin für alles das, was unsere KundInnen bisher von uns kannten. Und wir entwickeln uns und unsere Arbeitsweisen gerade aufgrund der Krise der Bioanbauverbände sehr tief weiter. Daher geht es in diesem Blog im ersten Schritt um die erklärenden Hintergründe zur Krise in der Biobranche aus unserer Sicht. Im nächsten Blog wird es im 2. Schritt um unsere konstruktiven Umgangsformen und ganz klare und wirklich zukunftsweisenden Entscheidungen gehen, u.a. um den gerade laufenden Prozess unserer Gemeinwohl-Zertifizierung.

Einleitung

Wir als Betrieb Lichtenborner Kräuter gehörten von 2003 – 2008 dem Biolandverband an. In den Jahren 2007/2008 wurden unter dem damaligen Vorstand des Biolandverbandes die Richtlinien aufgeweicht. Diese Entscheidungen wollten und konnten wir aufgrund unserer inneren Einstellung nicht mittragen. 

Daher haben wir 2008 zum Demeter-Verband gewechselt, da er für sich selbst in Anspruch nimmt, die ältesten und strengsten Richtlinien zu haben. Seit einiger Zeit spricht der Verband selbst von „Premium-Bio“. Tatsächlich hat dieser Verband in der Bevölkerung einen sehr guten Ruf. Den Erzeugern, also Bauern und Gärtnern, die meistens eine hervorragende Qualität liefern, wird sehr tiefes Vertrauen entgegengebracht. Meist zurecht - leider aber auch nicht immer! 

Ein großes Verdienst des Demeter-Verbands in den vergangenen Jahren war es, durch sehr fundierte Aufklärungsarbeit Demeter bekannter zu machen und den guten Ruf der Marke aufzubauen.
Bis jetzt … 

Umbruchszeit und damit einhergehende Krise

Spätestens seit dem 01. Januar 2019 dürften viele Menschen wahrgenommen haben, dass eine große Werbekampagne von Lidl /Bioland unter dem Motto: „Gut. Besser. Bioland“ läuft. Denn der Biolandverband hat sich für eine starke Vermarktung über die Discounter Lidl und Aldi entschieden.

Der Demeter-Verband ist der Meinung, dass Demeter nicht in den Discount passe (A. Gerber, Demeter-Vorstandssprecher, im Interview mit der „BIOwelt“ vom Dez. 2018), aber sehr wohl in die Supermarktketten - in der Annahme, dass die Supermarktketten ethisch besser wären. Im Herbst 2016 wurde im Demeter-Verband von der Mehrheit der Bundesdelegiertenversammlung die Entscheidung zu einer sogenannten neuen Vertriebsstruktur getroffen, zu der auch die Vermarktung über die Supermarktketten gehört, u.a. Edeka, Rewe, Kaufland, Globus.

Herr Giese von Edeka Nord argumentierte in der Demeter-Versammlung im November 2018: „Die Konsumenten verlangen mehr Bioware.“ Also möchte er liefern. 

Der Demeter-Vorstand begründet die Entscheidung u.a. damit, dass man doch 100% Bioanbau/Demeter-Anbau wolle. So könne auch eine starke Reduzierung von Insektiziden, wie Roundup, zügig erreicht werden.

Infolge dieser Entscheidung ist nun zu beobachten, dass besonders bei Edeka und Kaufland immer mehr Demeter-Produkte zu finden sind. Klarerweise muss dazu auch erwähnt werden, dass schon seit mehreren Jahrzehnten Demeter-Betriebe ihre Produkte über sogenannte inhabergeführte Edeka-Filialen vermarkten konnten, allerdings in kleinem Stil. Der Unterschied zur jetzigen Situation ist, dass jetzt im ganz großen Stil über die Edeka-Zentralen vermarktet werden soll und wird. 

Wir von der Gärtnerei Lichtenborner Kräuter sagen aus ethischen Gründen ganz klar und deutlich: „Eine Ausweitung des Bioanbaus ja, aber nicht um jeden Preis und erst recht nicht durch die Zusammenarbeit mit Supermarktketten und/oder Discountern – weder direkt noch indirekt!“ 

Und wir meinen, dass nicht alles ganz schnell gehen muss. Denn wir streben mit dem zunehmenden Anbau von Bio-Produkten auch die Zunahme an Bewusstsein und Wertschätzung an. Weiterhin wollen wir unbedingt unabhängig von solchen Konzernen bleiben! 

Denn wer die Freiheit für die Sicherheit aufgibt, der wird beides verlieren!

Wir möchten nach wie vor sehr hohe ethische und Qualitätsstandards gewähren! Und zwar im ökologischen wie im sozialen Bereich. Außerdem möchten wir die Aspekte Menschenwürde und Menschenrechte mit einbeziehen, wie es die Gemeinwohlökonomie tut. All diese Aspekte sind unserer Meinung nach bei den Supermarktketten nicht gewährleistet! 

Wirtschaftspolitische Hintergründe des Lebensmitteleinzelhandels (LEH)

Der weltweite Lebensmittelmarkt ist unter den 8-10 größten, weltweit agierenden Lebensmittelkonzernen aufgeteilt (s. Konzernatlas 2017, Heinrich-Böll-Stiftung u.a.). 

Einer von ihnen ist die Schwarzgruppe, zu der sowohl Kaufland, als auch Lidl gehören. Lidl ist zwar ein Discounter und Kaufland eine Supermarktkette; beide sind aber sozusagen Schwesterbetriebe.

Diese großen Discounter und Supermarktketten liefern sich bekanntlich weltweit einen sich seit Jahren immer stärker zuspitzenden Preis- und Konkurrenzkampf. Und sie müssen sich immer neue Vermarktungsstrategien einfallen lassen, da der Preis kaum noch tiefer zu senken ist.

Das Bewusstsein in der Bevölkerung für bessere Lebensmittel ist u.a. aufgrund der vielen Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre und durch das stärkere Bekanntwerden der oft unwürdigen Arbeitsbedingungen im Lebensmittelbereich tatsächlich gestiegen. Das Vertrauen in die konventionelle Landwirtschaft sinkt und gleichzeitig steigt das Vertrauen in die Bio-Landwirtschaft. Das spüren auch die sogenannten LEHs. So ist das Argument, dass die Menschen mehr Bioprodukte verlangen, natürlich folgerichtig. Die großen LEH-Konzerne wittern das große Geschäft und so stellt es für sie eine gute Möglichkeit dar, sich mittels der Bioanbauverbände Bioland und Demeter stark aufzuwerten und zu profilieren. Und der Druck mitzumachen ist enorm, denn sonst macht es „der andere“….

Folgen dieser Entwicklung

Dieses scheinbar große Geschäft kann jedoch – selbst nach ökonomischen Marktregeln - nur von sehr kurzer Dauer sein.

Legen wir das Ursache-Wirkungsprinzip zugrunde und schauen wir uns ganz genau an, was vor sich geht, dann werden unsere Gegenargumente schon jetzt und auch in der kommenden Zeit in der Praxis immer wieder beobachtbar sein!

  • Durch das hauptsächliche Streben nach Profit in Kombination mit dem ewigen Wachstumsdenken, aber auch durch den starken Preisdruck ist der LEH Mitverursacher davon, dass die landwirtschaftlichen Flächen gerade so aussehen wie sie aussehen.
  • Jährlich müssen 5.000 bis 10.000 bäuerliche Betriebe allein in Deutschland Insolvenz anmelden, da sie nicht mehr mit den billigen Preisen nicht mehr ökonomisch arbeiten können.
  • Massenproduktion führt ab einem bestimmten Zeitpunkt immer zum Preisverfall. Dieser wiederum zum Qualitätsverlust.
  • Soziale Standards werden abgebaut.

 So wird die klassische kapitalistische Abwärtsspirale automatisch in Gang gesetzt und dreht sich immer schneller. Dann ist sie nicht mehr aufzuhalten. Was die Konzerne mit ihren zerstörerischen Strukturen in der konventionellen Landwirtschaft hervorgebracht haben, wird sich dann folgerichtig auch im Biosektor fortsetzen.

Schon jetzt ist sowohl bei den Discountern als auch bei den Supermarktketten zu erkennen, dass die Preise für Bioland- und Demeter-Produkte weitaus geringer sind als im wertschätzenden Biofachhandel. Außerdem sind die Endverkaufspreise für Demeter-Produkte in den Supermarktketten geringer als der Einkaufspreis für Bioläden beim Naturkostgroßhandel. Die Gründe dafür sind:

a) dass die Supermarktketten direkte Verträge mit Demeter-Bauern abschließen und geringere Preise an sie zahlen

b) dass die Supermarktketten größere Chargen abnehmen und dadurch niedrigere Preise bekommen

c) dass durch den Aufbau dieser eigenen Vertriebsstrukturen der Naturkostgroßhandel ausgeschaltet wird.

 Dieses Geschäftsmodell wird somit unausweichlich zur Schließung und Unrentabilität von Bioläden und auch Naturkostgroßhändlern führen – dem sogenannten Biofachhandel.

Was sagen die Befürworter zu diesen Einwänden?

Den Befürwortern der Zusammenarbeit mit Supermärkten beim Demeter-Verband müssten diese Gefahren eigentlich auch bewusst sein. Für sie scheint aber die Aussicht auf neue Absatzmärkte und das – vermeintlich – große Geschäft schwerer zu wiegen.

Wenn der Demeter-Vorstand sich dabei zwar von Discountern abgrenzt („Demeter passt nicht in den Discount.“, A. Gerber in der BIOwelt, Dez. 2018), aber mit Supermarktketten zusammenarbeitet, wird unserer Meinung nach nicht zu Ende gedacht. Denn wenn Kaufland zur selben Schwarzgruppe gehört wie Lidl, dann besteht eine halbherzige Trennung zwischen Discountern und Supermarktketten.

Die Befürworter der neuen Vertriebsstruktur argumentieren außerdem, dass es seit Jahren immer weniger Bioläden gebe und man nicht mehr auf einen so kleinen Markt setzen könne; davon könne man nicht leben.

Wenn man sich die Entwicklung der vergangenen Jahre aber genau ansieht, wird deutlich, dass eine größere Insolvenzwelle von inhabergeführten Bioläden erfolgte, als sich Alnatura, dm und Dennre (Denns) einen Marktkampf im großen Stil lieferten und immer mehr Bio-Supermärkte eröffneten, und zwar meistens in der Nähe von Bioläden, die die „Bio-Grundstruktur“ aufgebaut hatten. Diese wurden damals schon mit niedrigeren Preisen unterboten. 

Die Menschen der kleinen und inhabergeführten Bioläden waren jedoch genau die, die Bio entwickelt und aufgebaut haben!! Diese haben über viele Jahrzehnte tiefes und echtes Bewusstsein bei unendlich vielen Menschen/KundInnen geschaffen.

Für diese wertvolle Arbeit, die die Bio-Produzenten (Bauern und Gärtner) und Bio-Ladner leisten, benötigen wir einen wertschätzenden und angemessenen Preis, damit alle Beteiligten davon zufrieden und zumindest bescheiden und in Menschenwürde leben können.

Daher noch einmal: Wir tragen die Entscheidung des Demeter-Verbandes aus ethischen Gründen ganz klar nicht mit! 

Welche Handlungsmöglickeiten haben wir als Kräutergärtnerei?

1. Eine Möglichkeit, die wir bereits genutzt haben, war, einen Antrag an den Demeter-Verband zu stellen, in dem wir forderten, die damalige Entscheidung wieder zurückzunehmen, für zukünftige Entscheidungen einen Mitgliederentscheid einzuführen und die Aspekte Gemeinwohlökonomie, Solidarität und Assoziatives Wirtschaften in den Demeter-Verband einzuführen. 2500 Menschen aus ganz Deutschland unterstützten uns nicht nur in Form von Unterschriften, sondern auch in Form von Gesprächen, Ermutigung und Bekräftigung unserer Ansichten. 

Durch den Antrag haben wir in vielerlei Richtungen sehr viel bewegt und es wird sich noch mehr bewegen. In manchen Bereichen können wir von großen Erfolgen sprechen, in anderen nicht. Die weitere Zeit wird hervorbringen, was sein soll…

2. Wir selbst von der Gärtnerei Lichtenborner Kräuter sind jedoch jetzt schon dabei, uns ganz konkret weiterzuentwickeln. Seit dem 02.05.2019 lassen wir uns im Rahmen eines Projekts der Universität Kassel/Witzenhausen Gemeinwohl-zertifizieren (siehe Christian Felber: Gemeinwohlökonomie). Darauf werden wir im kommenden Blog näher eingehen.

3. Als weitere Konsequenzen werden wir einen Verteiler mit Demeter-Höfen einrichten, denen es ähnlich geht wie uns und unserer Kräuter-Gärtnerei. Alle Höfe, die Interesse daran haben, sich auszutauschen und sich weiterzuentwickeln, sind herzlich eingeladen.
Ein weiterer Verteiler wird ein sogenannter Unterstützerverteilen sein, in den wir Menschen aufnehmen wollen, die diesen Prozess ebenfalls unterstützen wollen.
Mit diesen Menschen und Betrieben möchten wir den Erneuerungsprozess und die Weiterentwicklung innerhalb und außerhalb des Verbandes führen. Er wird ergebnisoffen und konstruktiv geführt und wir sind sehr gespannt, wohin die Reise uns alle führen wird. 

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie sich an diesem Prozess beteiligen würden, denn mit Ihnen, unseren KundInnen, wollen wir uns vernetzen und gemeinsam einen guten Weg gehen.

Sie können sich sehr gerne melden, um mit uns in Diskussion zu treten bzw. zu bleiben.


Seien Sie alle ganz herzlich und liebevoll gegrüßt

Michael Brodda und Team